Tagesbericht Gruppe 3: Hambacher Forst

„Mensch – Umwelt – Bildung: Alles hängt mit allem zusammen“, das Motto des World-Fairplay-Camps wurde bei dieser Tour besonders eindrucksvoll mit Leben gefüllt. Ging es gestern in Kommern noch um die Vergangenheit und die Erinnerung an Menschen früher, so lernten wir heute Menschen in ihrer aktuellen Umwelt kennen. Bildung ist dann möglich, wenn wir uns mit deren Handlungen und Einstellungen ernsthaft auseinandersetzen, uns eine Meinung bilden, und diese Meinungen dann austauschen. Das wird vermutlich eine spannende Nachbetrachtung am Abend.

Den Ort der Tagestour kannten die meisten nur aus den Medien. Der Hambacher Forst wurde ebenso wie einige umliegende Dörfer von dem Energiekonzern RWE schon vor Jahrzehnten erworben. Der Grund dafür ist die in Hunderten Meter Tiefe liegende Braunkohle, die in gigantischen Gruben seit 1984 abgebaut, zu Kraftwerken transportiert und in Strom umgewandelt wird. Dieser Energieträger ist wegen seiner Umweltschädlichkeit schon lange umstritten – die sogenannte Energiewende sorgt nun dafür, dass auf Kohle, ebenso wie auf Kernenergie verzichtet und Strom künftig ausschließlich aus erneuerbaren Energien, vor allem Wind und Sonne gewonnen werden soll. Dies war eine politische Entscheidung der Bundesregierung, die nicht alle gut fanden, aber in der Demokratie entscheidet grundsätzlich die Mehrheit.

Eines der Dörfer, die der Konzern RWE gekauft hat, heißt Morschenich. Geplant war, diesen Ort wie schon viele andere verschwinden und zur Grube werden zu lassen. Die meisten Häuser im Ort sind heute verlassen, die Fenster und Türen mit Brettern verschlossen oder zugemauert, es ist die Atmosphäre eines Geisterdorfes. Die Menschen, die hier lebten sind von RWE für die Enteignung entschädigt worden und weggezogen. Einige Kilometer entfernt entstand Neu-Morschenich. Die Häuser dort sind auch alle ganz neu, die Kirche befindet sich noch im Bau. Wir lernen die Bürgermeisterin kennen, die 50 Jahre alt ist und seit frühester Kindheit wusste, dass sie ihre Heimat einmal wird verlassen müssen. Sie erzählt, wie der Ort mit den Jahren zum „Lost Place“ wurde und die Einbrecher mit dem Stemmeisen offen über die Straße liefen. Sie selbst wohnt jetzt mit ihrer Familie in Neu-Morschenich und fühlt sich wohl im neuen Zuhause. Sie empfängt uns aber im Kindergarten des alten Dorfes. Denn mittlerweile hat sich mit der Energiewende etwas verändert, Morschenich wird doch nicht abgerissen. Einige Bewohner sind auch geblieben, dazu kommen Flüchtlinge, die hier eine Unterkunft gefunden haben. Wir lernen einen Mann aus Afghanistan kennen, der seit 2015 in Deutschland ist und im Kindergarten sein Büro hat. Jetzt soll auch Alt-Morschenich, der Ort, der seit 1975 dem Untergang geweiht ist, wieder eine Zukunft haben. Daran arbeitet ein noch junger Mann aus Aachen, der als Manager den sogenannten Strukturwandel mit organisieren soll. Er erklärt uns mit wenigen Worten, warum es bei dieser Veränderung geht, nämlich um die ganz großen Themen Umwelt und Energie, ebenso um die kleinen Themen wie die Frage, ob in Neu-Morschenich mal ein Bus fährt. Er erzählt offen, dass er selber Aktivist war und im Wald gegen RWE demonstriert habe, eigentlich noch immer Aktivist sei, nur die Mittel seien andere.

Über die Mittel war zu diesem Zeitpunkt schon ausführlich diskutiert worden. Eine Stunde zuvor hatte die Gruppe bereits das Aktivistencamp im Hambacher Forst erreicht. Auch dieser Wald sollte wie das Dorf Morschenich der Braunkohle geopfert werden. Vor allem junge Menschen protestieren vor Ort dagegen. Verstreut im Wald haben sich die Aktivisten in Baumhäusern eingerichtet. Wann immer in den Medien vom Hambacher Forst berichtet wird, geht es auch um diese Besetzungen. Aktiv sein für eine Umwelt, in der man in Zukunft noch leben kann, das ist ja auch das Ziel des FairPlay-Camps, eigentlich hätten sich im Hambacher Forst also Gleichgesinnte treffen müssen. Aber bezüglich der Mittel ist man nicht einer Meinung.

Es ist ein interessantes Bild, das sich bietet. Die Radgruppe, angeführt vom Aktivisten Herbert, umringt einen jungen Mann, der sich mit dem Namen Minzblatt vorstellt. Er ist mit schwarzem Tuch verhüllt, nur die Augen sind frei. Er spricht in ruhigem Ton und beantwortet geduldig die zahlreichen Fragen. „Was macht Ihr hier?“ Es  geht zunächst sehr viel um Grundsätzliches in diesem Gespräch, das immer länger und intensiver wird. In unmittelbarer Nähe befindet sich ein aus Brettern gezimmerter Unterstand, weitere Aktivisten sind zu sehen, teilweise ebenfalls maskiert, ein Hund bellt. Alles macht den Eindruck eines kleinen Camps, in der Höhe des Waldes sind Baumhäuser zu sehen und drei Solarpannele. Deutlich sichtbar hängt über dem Unterstand die Flagge mit schwarzem Stern und den Buchstaben EZLN. Minzblatt erläutert den Zusammenhang mit dem historischen Vorbild der Indios im Lakandonenwald in Mexiko. Dort wehrten sich ebenfalls vermummte Rebellen Ende der 90er Jahre gegen den Staat, der die Ureinwohner vertreiben wollte. Der Staat und das Eigentum und der Anarchismus, dem sich die Aktivisten politisch zuordnen sorgte nun für eine lebhafte Diskussion.

Der entscheidende Punkt bleibt die Einstellung zur Gewalt. „Vergiss nicht, einen Polizisten zu erschießen“ war auf einem Plakat zu lesen. Meinungsfreiheit hat im Grundgesetz Grenzen. Und die gelten auch im Wald. Mit deutlichsten Worten seine Meinung sagen, das Eigentum und staatliche Autorität zumindest in Frage stellen, alles das muss die Demokratie bestimmt aushalten. Es ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit, wann der Rechtsstaat aktiv wird. Dieses Plakat muss man nicht aushalten. Das ist eindeutig eine Straftat. Und damit wird der Aktivismus zum Terrorismus.

Am Abend Nachbetrachtung der Ereignisse: